Sie alle verbindet das selbe: doch das kommt später
Sie gerät in einen Sog, der sie sanft durch einen langen Tunnel zieht. dieser ist schmal und dunkel und lang. Dann ist auf einmal alles hell, ein großes schmiedeeisernes Tor, durch das sie nicht hindurchgeht, sondern hindurchschwebt. Eine überproportionale Figur in einem hellen Gewand begegnet lächelnd ihrem erstaunten Blick. Strahlende Gesichter in cremefarbenen Gewändern nähern sich ihr. sie erlebt eine unglaubliche Leichtigkeit. Plötzlich firmiert sich ein Chor: “Mache dich auf und werde Licht…” Anschließend singt er weiter:Komm in sein Tor mit dankbarem Herzen, komm in den Vorhof voll Lobgesang…”
Fasziniert lauscht sie deren Klängen. Sie schwebt, die Gravitation der Erde ist Geschichte. Ich fühle mich so befreit, so erlöst.Mein Körper ist nun so viel leichter, denkt sie.Angelika hat die Situation noch nicht wirklich erfasst. Vera, ebenfalls im cremefarbenen Gewand, ruft fröhlich in die Runde, “Willkommen im Jenseits.” eine grummelnde Stimme im Hintergrund lässt sich vernehmen:”Ich war auf der Erde Atheist, wähnte mich zuerst in der Hölle – und nun lebe ich doch im Paradies, habe dies allerdings gar nicht verdient. War ich doch bisher immer garstig zu meinen Mitmenschen. aber meine Angehörigen zehren ja jetzt von meinen Früchten,” fügt er grimmig grinsend hinzu. David baut sich vor ihm auf: “Schön, dich zu sehen, Richard. Ich bin ja schon seit über 30 Jahren tot. Bin zum Glück auch nicht in der Hölle gelandet. Da hat meine Schwester wohl fleißig für mich gebetet. Es ist schön hier, brauche keinen Arztkittel mehr und auch kein Stethoskop.” Beide schweben davon.
Angelika sieht sich in diesem himmlischen Reich um und kann ihr Glück nicht fassen. “Unten auf der Erde war mir ständig übel von der Chemo, musste mich dauernd übergeben – aber hier!” “Du trägst ja jetzt auch unser helles Gewand,” sagt Vera, “steht dir ausgesprochen gut.” Der Chor nickt zustimmend.”Ausgesprochen gut,” wiederholt dieser. “Toll, dass du trotz deines miserablen gesundheitlichen Zustands bei meiner Beisetzung warst,” fährt Vera fort. “Hier oben kann ich stricken bis in alle Ewigkeit,” sagt Angelika frohen Muts. “War unten auf der Erde eines meiner Hobbies.” Der Chor lacht, bevor er ein neues Lied anstimmt: “Halleluja, Salvation and Glory….”Obwohl Angelika eigentlich den Text nicht kennt, hier oben kennt sie ihn. Beschwingt singt sie mit.
Auf einmal wird diese harmonische Stimmung von einem polternden Geräusch unterbrochen: “Les Yeux sont faits! Das Spiel ist aus! Je veux rentrer. Ca ne me plais pas ici. Je veux avoir mes pieds sur terre.” Im Himmel gibt es keine Sprachbarrieren. “Dann hau doch ab und störe nicht unsere Idylle,” empört sich Mai, die bisher geschwiegen hatte. Noch ein polterndes Geräusch, und er ist verschwunden.” Wer war das?” fragt Martha, die bisher geschwiegen hat.. “Jean Paul Sartre, der ist Existenzialist, glaubt also nicht an Gott,” antwortet Mai,” Kein Wunder, dass er sich bei uns nicht wohlgefühlt hat. Meine Freundin, die ja noch in der Erdenwelt lebt, kennt einige Stücke von ihm.”
Angelika, Mia und all die anderen wenden sich dem Neuankömmling zu: “Oh, it’s nice here, what a lovely place. my name ist Tom. I’am a reverend from the USA. I had an accident and now I am here!” Dorothea, eine eher Ruhige, ruft: “I am very pleased to meet You. You’re very welcome!” “Very welcome” wiederholt der Chor. Dann sagt sie zu den anderen: Ich hatte ALS. Zum Schluss war ich nur noch gelähmt, konnte nicht mehr sprechen. Und hier?” Dorothea macht eine ausladende Geste. Die erst vor kurzem Verstorbenen tauschen ihre Erlebnisse über ihre Reise in den Himmel aus. Jetzt meldet sich Waldemar, “das deckt sich mit unseren Erfahrungen, da war dieses strahlende Licht. Und wir wurden nicht geblendet. Habt ihr eigentlich JESUS gesehen?” “Der ist doch überall.” Die Stimmen klingen aufgeregt durcheinander. Ganz viele Gestalten. die ausnahmslos in ihre cremefarbenen Gewänder gehüllt sind, blicken in einen rosa gefärbten Morgen-und Abendhimmel. Fast alle hier oben liebten und lieben sowohl klassische Musik als auch Jazz. Auf einmal taucht Ella Fitzgerald auf. “Meine Musik ist unsterblich,” verkündet sie mit ihrer vollen Stimme. Mia hakt sich bei ihr unter. Gemeinsam singen sie,”A fine Romance with no Kisses…” Abrupt hören sie auf zu singen. “Wo ist Tom, der Reverend?” fragt auf einmal Waldemar und auch Dorothea wundert sich: “Stimmt, der ist weg. Den wollte wohl seine Familie wiederhaben.” Die Silhouette von Shakespeare erscheint: To be or not to be – that is the question. Meine Texte sind auch noch nach 400 Jahren topaktuell.” Ein Mix aus verschiedenen Melodien erfüllen den Himmel. Mal ist es die Morgenstimmung von Edvard Grieg, mal sind es die “Träumereien” von Schumann, Vivaldis Vierjahreszeiten und und…”What a difference a day made, there’s a rainbow before me,” singen Mia und Ella aus Leibeskräften. Sie sind immer noch untergehakt. Sie und all die anderen schweben mit einer Leichtigkeit dem in rosa und orange gefärbten Himmel entgegen, genau die Farbkombination, die William Turner für seine Bilder gewählt hätte.